Mein Wert gefühlt

Meine letzte Rechnung, die ich gestellt habe und darüber meinen Wert sichtbar auf meinem Konto verbuchen konnte, ist geraume Zeit her. So habe ich es gewollt und so ist mein Wunsch auch in Erfüllung gegangen. Aber ich wusste zu der Zeit noch nicht, wie wichtig mir dieser Applaus von außen ist. Ich habe die Geld-Regen-Segen-Wert-Kombination so richtig erst im nachhinein schätzen gelernt.
Nicht, dass ich nun gänzlich keinen Wert mehr in mir verspürt habe. Etwas Basis-Wert hatte ich mir schon in den letzten 41 Jahren aufgebaut, anders wäre ich wohl auch den Weg, den ich eingeschlagen habe, nicht gegangen. Ich hab schon an mich geglaubt. Doch wenn die ernsthaften Mails, der reichhaltige Geschäfts-Kontakt und die fröhlichen Telefon-Klingellings weniger werden, da kommt man schon ins schwanken.

Plötzlich erhoben sich in mir Fragen. Sie bäumten sich förmlich in mir auf. Worüber und durch wen erhalte ich eigentlich in diesem Leben meine Berechtigung des Seins? Bin ich für die Welt überhaupt wichtig? Und muss ich diese zermarternden Fragen überhaupt überdenken?

Aber Fragen wie diese, die in mir aufkommen, mich nerven und nicht eher gehen wollen, als bis ich mich ihnen stelle, laufen mir schon mein ganzes Leben über den Weg und mittlerweile habe ich sie sogar liebgewonnen. Als Kind bin ich mit ihnen untern Arm durch die Walachei gestreunert, habe mir einen inneren Freund dazu kreiert und mit ihm das Für und Wider besprochen. Heute bin ich zum Glück so mutig und in der Lage, dass ich mein soziales Umfeld mit einbeziehe und es herausfordere. Sind es doch Gesellschafts-Kritische-Themen, oder?

Irre ist, das ich aus meiner jetzigen Situation heraus, ansatzweise nachfühlen kann, was mein Vater damals als ich 14 war gefühlt haben muss. Er war von jetzt auf gleich von seinem Arbeitgeber, einer der größten Deutschen Banken, nach Jahren entlassen worden und stritt sich mit ihr vier Jahre vorm Arbeitsgericht. In dieser Zeit durfte er weder arbeiten noch einen neuen Job finden und antreten. Er war dazu verdammt, sich zwangsläufig mit sich auseinander zu setzen. Das mürbte nicht nur ihn. Okay, er bekam weiterhin sein Gehalt, aber das machte ihn leider auch nicht zufriedener. Er wurde unerträglich.

Aber ich habe diesen Wandel gewollt.

Ich habe mich wohlwissend diesem Loch gestellt. Ich bin freiwillig in dieses luftleere Nichts, welches sich vor einem neuen Lebens-Abschnitt aufstellt, wie ein erschreckend kalter Streifen Niemands-Land, mutig und singend gegangen. Mein Vater der arme Kerl wollte nichts verändern, er wollte in dieser Struktur arbeiten gehen. Man hat ihm einfach von außen das Spielzeug weggenommen, was ihn Jahre beschäftigt und ihm seinen Wert gegeben hat. Und dabei hat er alles für diesen Arbeitgeber gemacht. Er hat sich quasi vom Tellerwäscher zum Prokuristen hochgearbeitet. Er hat Rhetorik-Kurse besucht, bei denen er lernente, wie man Menschen einschüchtert und das alles ohne Studium. Und die sagen einfach von heut auf morgen ätschibätsch.

Und sein Schicksal ist kein Einzelfall.

Ich war dabei, als er in das dunkle Loch-der-Werte fiel. Ich habe miterlebt, was das mit einem Menschen macht und habe mich trotzdem gewagt, selber in dieses hallende Nirgend-wem-Land zu treten. Lange musste ich mit meiner inneren Moral diskutieren. Ich wollte aber fühlen, was ich, wenn ich nur mal auf mich höre, in der kompletten Stille als nächstes machen wollen würde. Aus dem Strudel-der-Arbeit heraus, war es mir nicht möglich, mich achtsam umzusehen, was ich im zweiten Teil meines Erwachsenseins spannend für mich fände.

Ich musste erst einmal aussteigen und mich besinnen.

Gestern war ich in Stuttgart bei der Diakonie. Sie haben mich für Geld gebucht. Sie wollten mich. Für einen interaktiven Vortrag. Das mache ich noch, aber ich habe mich nicht sonderlich darum gekümmert, dass Aufträge hageln.

Als die Diakonie-Dame zum ersten mal anrief, habe ich ungläubig nachgefragt „Sie wissen aber, das ich verdammt ehrlich, kess und herausfordernd bin?“ Eins hat mich das In-mich-hören gelehrt, ich will mich nicht mehr verbiegen!
„Drum wollen wir ja Sie!“ kam mit leicht schwäbischem Geschmäckle.
Mein Herz ging auf und wir verhandelten über den Preis.

Der gestrige Mein-Wert-Gefühl-puschende-Tag war wunderschön. Die an meinem Vortrag-samt-Work-Anteil-Teilnehmenden waren herzallerliebst und haben mir, mit ihrer wachen, mitgehenden Art unglaublich viel Freude bereitet. Alle waren sie aufgeschlossen und wurden immer kesser.

Und am Ende verziehen sie mir gar noch auf sehr charmante Art, meinen dicken Fauxpas. Zu ihrem Bild im Logo sagte ich nämlich Schleifen-Geschenk. Der Raum lachte gelöst und eine junge Frau meinte zaghaft zu mir schauend „Das dachte ich auch, dass es das sei!“ Aber nein, dass blaue viereckige „Ding“ im Diakonie-Logo ist ein Kronenkreuz. Peinlich!

Wie sie mir aber allesamt im Rot-werd-Prozess beigestanden haben, war echt rührig. Es schien, als wollte keiner von ihnen, dass ich mit einem doofen Gefühl nach Hause fahre.

Es wurde geklatscht, schönes Feedback gegeben und ich bin mit einem breiten Strahlen und meinem Roll-Köfferchen Richtung Bahnhof getapert.

Ich danke euch für dieses Wert-Gefühl, was ihr mir entgegengebracht habt.

©agapi_hotel_7241

4 Gedanken zu „Mein Wert gefühlt“

  1. danke Agapi das du mal aussprichst was ich mich noch nicht mal zu denken traue …ich bin ja auch raus aus der dauerleisttungsschleife wenn auch anders als du . die zeit wo ich nix mache und noch nicht mal Kluge Gedanken zu Papier bringe ( wie du huhu ..) zu genießen bzw. einfach mal nur da zu sein find ich schwer auszuhalten . ja ja und das laute nicht klingeln vom Telefon oje . aber auch bei mir wächst gerade so ein klitzekleines Gefühl von genau darum geht’s das ist jetzt dran . ich bin jetzt einfach mal nur da . ok ? herzliche Grüße nach entenhausen von Jutta

  2. Du weißt gar nicht wie wohl wiederum deine worte mir tun. Dein ehrlicher Kommentar machen mich noch weich und fühlender.
    Mein Herz lächeln. Ich danke Dir für Deine Offenheit!

    Herzliche Grüße in die alte Heimat, die ich auch etwas vermisse,
    Agapi

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