Mittendrin

Hinterher bin ich immer schlauer. Hinterher fühle ich extremer und hinterher habe ich die Ruhe, mich zu sammeln und die Situation noch einmal durchzuspielen. Dann gelingt es mir zu Reflektieren und meine Anteile im Geschehenen zu erkennen. Mittendrin reagiere ich aus meinem Erfahrungs-Pot­pour­ri-Konstrukt heraus. Mittendrin fühle ich auch, sehr viel sogar, aber die Gefühle zischen an mir vorbei, wie die Kugeln beim Billiard, wenn der erste Stoß das ordentliche Kugel-Dreieck sprengt.
Diesmal ging es Mittendrin richtig in die Hose.
Und diesmal bin ich Hinterher wieder schlauer.
Doch eine Frage bleibt.
Wann fängt das Mittendrin eigendlich an?
Und wann hört es auf?

Vor ein paar Tagen habe ich ein Ein-Wöchiges-Mittendrin verlassen. Dachte ich. Während der Mittendrin-Woche bekam ich Situationen geschenkt, die mich herausforderten. Sehr sogar. Ich war ganz beeindruckt von mir. Wie ich mich den manchmal sehr anstrengenden Gegebenheiten stellte und für mich einstand – ich nahm mir Raum. Ich verspürte Glück.

Das freute mich. Ich war selbstbewusst und fühlte selbstvertrauen. Ich fühlte mich ebenbürtig UND, ich hatte für mich gesorgt. Ich hatte zum einen das Einverständnis für die Umsetzung eines Herzensprojekts bekommen – den Tafelrunden steht bald nichts mehr im Weg – und zum anderen einen Stundenlohn für ein weiteres Projekt ausgesprochen der angenommen wurde. Beides durfte miteinander realisiert werden. Ich war aufgeregt – keine Frage – glücklich aufgreregt.

Mit kleineren Extrem-Situationen, die passieren, wenn man das erste Mal zusammen-arbeitet, jonglierte ich. Doch dann begann ich mich länger als einen Tag zu ärgern und mich beschlich eine Bedrücktheit. Ich empfand unterschwelligen Widerstand, konnte ihn jedoch nicht fassen. Ich hörte Anklage, ohne Schuld zu empfinden. Ich sah mich alleine für das Gemeinsame Ziel Arbeiten, ohne gesehen zu werden. Mein Fass quoll über, bei der Übergriffigkeit. Sie kam von Tag zu Tag näher und ich war nicht in der Lage sie zu stoppen.

Irgendwie ist es mir in meinem Leben nie so recht gelungen einen Respekt-einflösenden Vorgarten vor meinem Haus anzulegen. So mit Gartentürchen. Mit Glöckchen. Mit Weg bis zur eigendlichen Haustür. Ich glaube, es wurde mir auch nicht so recht als Kind eingeräumt. Stattdessen stehe ich, ohne es zu wollen, genau an der Straße mit meiner Eingangstür und die Menschen finden sehr schnell zu mir. Okay, ich liebe den Austausch und es wäre ja völlig okay … mein Dilemma ist nur, dass meine Haustür anscheinend offen steht. Für mich befindet sie sich in einem geschlossenen Zustand und ich habe auch eine Klingel, aber die Menschen sagen, sie steht immer offen. Sie meinen sogar, dass über meiner Haustüre ein großes, in der Nacht beleuchtetes Schild hängen würde, auf dem steht “Bitte reinkommen! Fühl’ Dich wie Zuhause!” Manchmaloft habe ich an meiner Sehkraft gezweifelt und bin nach draußen gegangen, um mein Haus in aller Ruhe anzuschauen. ICH SEHE KEIN SCHILD.

Bescheid-Wissend, dass ich wieder das Offene-Tür-Problem haben werde, nahm ich meine Sprache zum Ein-Wöchigen-Mittendrin dazu. Immer wieder sagte ich Stopp. Es waren freundliche Stopps. “Stopp mal, ich möchte-muss das Navi verstehen” oder “Stopp mal, ich muss auf Toilette” oder “STOPP, das macht mein Auto kaput!” Bis zu dem Moment, als ich mich so dermaßen Übergriffig behandelt fühlte, dass ich mich mit sehr kraftvollem Ton sagen hörte “STOPP, ICH BIN KEIN ÄFFCHEN!” …  ich suchte krampfhaft in meinem Kopf nach einem passenden Tier, was ich symbolisch darstellen wollte. “ICH BIN EIN GOLDENES LAMM! UND SO BEHANDELT MAN KEIN GOLDENES LAMM!” Es war mir nur ganz kurz peinlich, dass ich mich tatsächlich mit einem goldenen Lamm verglich, denn mein Gegenüber hörte mein Stopp gar nicht.

Das tat weh!

Die restlichen Tage übte ich mich darin, dem Übergriff mit Bestimmter-Leichtigkeit zu begegnen und zum Glück hatte ich vorher einen Stundelohn abgemacht. Okay, er war nur symbolisch, aber das reichte mir. Ich wollte-konnte mich und meine Kapazität nur nicht verschenken.

Ich versuchte es sportlich zu nehmen. Ich konnte an dem Mittendrin ja nur wachsen. Ich sagte mir, dass ich es bin, die sich wie ein Äffchen fühlt und mich dadurch selber zum Äffchen mache. Also konzentrierte ich mich auf den Tat-Bestand ein goldenes Lamm zu sein! Kamen schwierige Momente, summte ich mir immer wieder das Mantra ein, ein goldenes Lamm zu sein. Oder ich sagte kurz, klar und deutlich “STOP!” Okay, ich fühlte mich dann wie ein Herrchen, das zu seinem Hund, AUS! oder SITZ! sagt. Und die Situationen waren sehr ungewohnt, haben mich aber daran gewöhnen lassen, dass es kein Weltuntergang ist, wenn ich für mich sorge und jemanden zurechtweise, der sich aus meiner Sicht an mir vergreift. Denn ich gehöre ja nunmal mir.

Doch das dicke Ende war das riesen Misverständnis am Tag der Abrechnung. Meine Gegenüber dachten, ich mache die schwere Arbeit all die Tage für die Gemeinsame Sache. Ehrenamtlich, und sähe diese Leistung als Invest. Jeder hätte doch investiert und das gegeben was er konnte. Ich hingegen hatte gedacht, ich hätte mich klar ausgedrückt. Ich hatte doch gesagt, dass ich keine Kapazitäten mehr über habe. Das ich helfen kann, wenn ich dafür etwas Geld verdiene. Drum den Lohn pro Stunde. Dann, dachte ich, wäre es für beide Seiten ersichtlich, was an Geld zusammen-kommt.

Klar, möchte ich unser Gemeinsames voranbringen und es fällt mir auch nicht leicht, Geld dafür zu nehmen. Zu gerne würde ich all meine Kraft in die Welt geben können, ohne im Gegenzug etwas zu verlangen. Wie schön wäre es, wenn für mein Grundeinkommen gesorgt wäre.

Auf die anderen Sauer-zu-sein ist leicht. Und ja, das war ich. Klar. Ich bin auch nur ein Mensch. Aber nach den Gedanken “Wie können sie bloß!” und nach Luft schnappen kam bald-schon ein Gefühl zu mir zu besuch, das mich beben ließ. Ich wurde so unsagbar traurig.

Wie kam es zu diesem Misverständnis?
Was hing an meinem Haus für ein Schild, dass meine Worte übertönen konnte?

Das Missverständnis ist passieren, das ist Fakt!
Und ich bin mir sicher, dass jeder von uns diese Traurigkeit verspürt, nicht richtig gesehen worden zu sein.
Ich habe es in den entsetzten Gesichtern und Worten meiner Gegenüber gefühlt.

Doch hinter unseren Worten scheint mir etwas Ungeklärtes zu stecken. Etwas, dass nicht gerne von uns gezeigt wird. Etwas, das von uns gefühlt werden will, aber wenn es Raum bekäme, weglaufen würde. Dieses Unausgesprochene schreit und wirft mit verletzenden Worten, Übergrifigkeit, Dominanz, Rückzug und Widerstand. So wird es schir unmöglich das Ungeklärte überhaupt zu greifen, denn es löst beim Gegenüber genau das selbe aus und dann geht es spiralformig in die Hose. Und Extrem-Situationen provozieren. Irgendwie bin ich dankbar, dass wir zusammen ins Tun gekommen sind, denn es hat Licht darauf geworfen.

Ich weiß auch nicht, ob es uns als Kern-Gruppe gelingt, das, was dahinter schwingt – im Mittendrin – zu finden, es auf-zu-suchen, an-zu-schauen und lieb-zu-haben. Ich wünsche es mir und ich erkläre mich bereit, mich verletzlich zu zeigen, mich zu öffnen und meinen Anteil darin zu suchen und mich weiter-zu-entwickeln. Noch ist die Hoffnung anwesend. Noch glaube ich, dass es UNS gemeinsam gelingen kann UNS darum zu kümmern die Ziehfäden-des-Mittendrins zu transformieren.

Was ich machen kann, ist, mich selber nicht zu einem kleinen Äffchen zu machen.
Fakt ist, dass jeder von uns sein Leben aufteilen muss in 24 Stunden am Tag. Die Zeit können-müssen wir füllen. Wir verbringen Zeit mit Geldverdienen – früher war man gezwungen sich den ganzen Tag um Nahrungssuche zu kümmern und Feuer-zu-machen – heute haben wir das Glück-Pech, dass wir zusätzlich noch Interessen nachgehen können, weil wir viel mehr Zeit über haben. Auf Knopfdruck wird es bei uns warm und Essen kostet nichts bei uns, im Verhältnis zur vielen Arbeit die es braucht, um eine Tomate zu ernten. Wir haben den Luxus uns zu Verwirklichen und uns über den Sinn des Lebens Gedanken zu machen … Wir sind Frei … Jeder von uns kann seinem Leben einen anderen Sinn geben …

Am Ende bin ich es, die schauen kann, ob das Verhältnis
Freude am Tun,
Zeit mit etwas zu verbringen,
und Geld für etwas zu verdienen
stimmig für mich ist.

 

PS: Das Foto zeigt einen Auschnitt vom Kunstwerk von Hans Scheib
Gesehen auf der Nordart 2018, die ich dieses Jahr sehr empfehlen kann.

2 Gedanken zu „Mittendrin“

  1. wow … aus dem Herzen gerade aus mit so einer scharfen liebevollen Genauigkeit hast Du Ausdruck verliehen … ich bin …. weiß nicht … fast extatisch weil ich es so klar finde, wie Du es ausdrückst, wenn plötzlich nichts mehr klar ist und sich alles verdreht …Danke für diesen Text … große Hilfe für mich eine ähnliche aber doch andere Situation für mich neu zu bewerten….

    mein Dank an Dich wenn Du magst melde Dich Sportlerseele.de heißt die Seite heute .. aber die ersten Texte für meinen Flyer Maitri kommen von Dir … gebe Dir gerne etwas zurück
    Liebe Grüße Suse

  2. liebe susanne, danke für deine worte. es berührt mich sehr, dass dir meine gedanken helfen. glücklich macht mich auch, dass du meine gedanken zum mittendrin auf eine andere, dir nahe situation übertragen willst-kannst … dass macht mich richtig dolle glücklich …. wow …
    liebe grüße und danke für das angebot:-)
    agapi

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